Es ist nicht zuletzt die idyllische Lage, die den besonderen Reiz Reitweins ausmacht. Überragt von dem bewaldeten Ausläufer einer Hügelkette liegt das Dorf inmitten großer Felder, die von Wassergräben durchzogen und mit den für das Oderbruch charakteristischen Loose-Gehöften gesprenkelt sind. Der Fluss umschließt in einem Bogen das sogenannte Sonneneck und ist gesäumt von Auen und dem stellenweise mit alten Bäumen bewachsenen Deich.
- Der Reitweiner Sporn
- Die „Gründe“ im Reitweiner Sporn
- Die Schöne Aussicht
- Grüne Majestäten
- Die Wallberge
- Die Priesterschlucht
- Die Alte Oder
- Die Oder
Der Reitweiner Sporn
Viele Wege führen auf den Reitweiner Sporn, eine davon ist die alte Handels- und Poststraße, die einst nach Frankfurt an der Oder und in der anderen Richtung nach Stettin führte. Die alte Frankfurter Straße ist jetzt ein Hohlweg, der sich im Laufe der Jahrhunderte unter den Rädern unzähliger Planwagen und Fuhrwerke in den Berg geschnitten hat. Im Sommer ist er gesäumt von sattgrünem Farn, links und rechts beugen sich Robinien von den Hängen über den Weg, als würden sie neugierig den Wanderer betrachten.
Der Reitweiner Sporn, seiner Form wegen auch Reitweiner Nase genannt, ist ein Höhenzug der Lebuser Hochfläche. Entstanden ist diese langgezogene Hügelkette als Prallhang der Uroder. Heute ragt sie weit in das Odertal hinein.
Die „Gründe“ im Reitweiner Sporn
Der Biergrund ist eines von zahlreichen Tälern und Gründen des Reitweiner Höhenzuges. In vielen dieser Einschnitte fanden sich früher intensiv genutzte Quellen. Zum Beispiel wurde das Wasser im weiter westlich gelegenen Tränkegrund in hölzernen Röhren abwärts in Tröge geleitet, im Rohrgrund wurde es zur Speisung von fünf Forellenteichen genutzt. Das Quellwasser im Biergrund soll so gut gewesen sein, dass es „Kranken heilsam und Gesunden erquickend“ war.
Schon Pfarrer Schroeder bedauerte 1904 in seinen Reitweinischen Merkwürdigkeiten: „Wie schön wäre es auch in unsrer Zeit noch, wenn sich diese und all die andern Quellen wieder auffinden ließen! Oder sollten sie spurlos verschwunden sein?“
Die Schöne Aussicht
Der Name spricht für sich. Hier kann man den Blick über die Reitweiner Loose und die Oder schweifen lassen. Geradeaus sieht man Polen, rechterhand sind am Horizont die Hochhäuser von Frankfurt an der Oder zu sehen.
Der 81 Meter hohe Sporn ist eine sichere Aufwindquelle. Im Frühling und im Herbst schrauben sich hier große Schwärme von Zugvögeln in ihre Flughöhe hinauf, nachdem sie sich auf den umliegenden Feldern gesammelt und gerastet haben. An manchen Tagen lassen sich einige Hundert Tiere zählen. Dann ist die Luft erfüllt vom Krächzen der Wildgänse und dem eigentümlich perlenden Glucksern der Kraniche.
Im Sommer steigen an derselben Stelle Raubvögel und sogar Menschen auf. Eine Gruppe Gleitschirmflieger zieht sich bei günstigem Wind am Osthang des Sporns mit einer Schleppwinde in luftige Höhen. Die Schleppstrecke ist 1200 Meter lang. Jeder, der fit genug ist, ein paar schnelle Schritte zu laufen, sollte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, bei einem Tandemflug Reitwein einmal aus der Vogelperspektive zu betrachten.
Grüne Majestäten
Die „Dicke Eiche“ am Wegesrand des alten Handelsweges wüsste sicher einiges zu berichten über die Reisenden und Wanderer, die in den letzten 300 bis 400 Jahren an ihr vorüber zogen. Die alte Stieleiche ist mittlerweile 18 Meter hoch, ihr Stamm hat einen Durchmesser von knapp 1,5 Metern.
Auf der anderen Seite des Weges steht ein weiterer Superlativ der Dendrologie: Tief im sogenannten Biergrund hat sich eine der höchsten gemeinen Eschen Brandenburgs einen Platz erkämpft. Sie ist ungefähr 100 bis 150 Jahre alt und stolze 32 Meter hoch.
Die Wallberge
Die Unwegsamkeiten des Reitweiner Sporns haben sich die Slawen im 8. bis 10. Jahrhundert zunutze gemacht. Ihnen dienten der Bier- und Nachtigallengrund zusammen mit aufgeschütteten Wällen als natürlicher Schutz vor Feinden. Wandert man die alte Frankfurter Straße entlang, trifft man auf einen Weg, der zu den Wallbergen abzweigt. Im dichten schattigen Wald liegt überraschend eine große freie Fläche: das erste Siedlungsareal. Die Verbindung zum zweiten Areal führt durch zwei noch deutlich sichtbare Wälle. Was heute ein bloßer Einschnitt ist, dürfte zu Zeiten der Besiedlung ein Tunneltor gewesen sein.
Erste Ausgrabungen an der im Mittelalter genutzten Burganlage wurden im 19. Jahrhundert vorgenommen. Ab 1930 dann untersuchte der damalige Direktor am Staatlichen Museum für Vor- und Frühgeschichte in Berlin, der Prähistoriker Wilhelm Unverzagt, den Reitweiner Burgwall. Es konnten Nachweise für verschiedene aufeinander folgende Kulturschichten und damit für mehrere Phasen der Besiedlung erbracht werden. Neben Urnen und Tonscherben wurde eine große Menge altslawischer Keramik ausgegraben.
Am südlichen Rand der Burganlage befindet sich der Nachtigallengrund. Im zeitigen Frühjahr ist das Tal von Unmengen zarter Schneeglöckchen erfüllt und lockt schon vor der ebenfalls spektakulären Adonisröschenblüte Naturliebhaber an den Reitweiner Sporn.
Die Priesterschlucht
Um die Osterzeit lohnt sich ein Abstecher in die nahe gelegene Priesterschlucht bei Podelzig, ein Naturschutzgebiet, das im Rahmen von Natura 2000 als besonderes Flora-und-Fauna-Habitat ausgewiesen ist. Beim Bundesamt für Naturschutz wird die verwunschene Schlucht ganz prosaisch beschrieben als „ausgeprägtes Trockental der Lebuser Platte mit charakteristischem Vegetationsmosaik aus kontinentalen Steppen-, Trocken- und Halbtrockenrasen sowie Staudenfluren und Gebüschen mit Vorkommen bemerkenswerter Pflanzenarten und Vegetationseinheiten“.
Die bemerkenswerteste Pflanzenart ist das Frühlings-Adonisröschen – wissenschaftlich Adonis vernalis. Die violett-olivgrün bereiften Knospen scheinen auf ihren kurzen Stielen fast auf dem Erdboden aufzuliegen und sind im Winter leicht zu übersehen. Aber wenn die lang ersehnte Sonne des Vorfrühlings Mensch und Erde erwärmt, dann überziehen bald die satt goldgelben Schalenblüten die steilen Hänge, „als wären Goldtaler vom Himmel gefallen“, schreibt der Naturschutzbund. Die zauberhaften Röschen sind selten und mit vereinzelten Ausnahmen in Deutschland sonst nur noch an den Oderhängen in Lebus und Mallnow zu sehen. Wenn sie blühen, passt sogar die Niederbarnimer Eisenbahn ihren Fahrplan an.
Der Reitweiner Wald
Ein Bild der Verwüstung zeigte sich nach dem Krieg 1945 nicht nur im Dorf, sondern auch im Wald. Die meisten Bäume waren im Krieg für den Bunkerbau gefällt worden, die übrigen waren nicht mehr als Bäume zu erkennen. Die Beschädigungen hatten ein Ausmaß von 90 Prozent.
Der heute nachgewachsene Wald besteht zum großen Teil aus Robinien. Die Robinie ist ein Pionierbaum, der nach katastrophalen Störungen wie Waldbränden oder Kahlschlägen die Waldregeneration einleitet. Nur Bäume, die höher wachsen und sehr starken Schatten spenden, vermögen es, die „falsche Akazie“ zu verdrängen.
Vorerst aber bestimmt sie das Bild auf dem Reitweiner Sporn und wird nicht nur wegen ihres harten Holzes geschätzt. Besonders beliebt ist die Robinie bei Imkern, die mitunter aus entfernten Teilen Deutschlands mit ihren Bienenbeuten anreisen. Die Robinie ist eine sogenannte Trachten-Pflanze, die reichlich Nektar und Pollen erzeugt und deshalb verstärkt von den Bienen angeflogen wird.
Die Alte Oder
Wer den Triftweg entlang Richtung Oder läuft, überquert den Bullergraben. Wem er gefällt, der sollte beim nächsten Mal ein Kanu mitbringen, denn hier befindet sich ein Einstiegspunkt für Paddeltouren. Der sogenannte Bullergraben ist an dieser Stelle nur schmal, der Wasserstand ist gut, die Strömung recht flott. Für diejenigen ohne eigenes Kanu hat ein Spezialist für Abenteuertouren im Nachbarort Gorgast ein bequemes Angebot: Die Boote werden nach Reitwein gebracht, von wo aus es die Gäste gemütlich zum Ausgangspunkt in Gorgast zurückpaddeln.
Die Oder
Die Oder ist ein Grenzfluss. Auf der gegenüberliegenden Seite Reitweins steht wie zum Beweis der letzte heute noch vorhandene polnische Beobachtungsturm.
Das Oderbruch ist nicht nur eine Jahrtausende alte Naturlandschaft und eine Jahrhunderte alte Kulturlandschaft. Das Oderbruch ist wegen der allzeit drohenden Hochwässer auch eine Schicksalsgemeinschaft. Es ist 60 bis 70 km lang und 12 bis 20 km breit und bedeckt eine Fläche von über 900 km². Früher durchzog die Oder diese Fläche in mehreren Armen und setzte nach starken Regenfällen oder der Eisschmelze regelmäßig riesige Flächen unter Wasser. Nur wenige Menschen lebten in der Gegend. Die Trockenlegung des Oderbruchs machte die Ausbreitung möglich. Es waren die Könige Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II., die im 18. Jahrhundert einen durchgehenden Deich bauen ließen, wie wir ihn heute kennen. Sie verlegten die Oder in einen alten Seitenarm.
Von Süd nach Nord hat das Oderbruch über 70 km ein Gefälle von nur zwölf Metern. Das sind verschwindend geringe 0,17 Promille. Folgt man der B1 von Küstrin-Kietz nach Seelow, dann erreicht man am Fuß der Seelower Höhen den tiefsten Punkt mit etwa drei Metern unter dem niedrigsten Oderwasserstand in Küstrin. Sollte die Oder einmal zwischen Lebus und Küstrin den Deich überfluten oder der Deich brechen, würde das Wasser also in Richtung Seelower Loose ablaufen, wo die Oder einmal als Urstrom entlang geflossen ist.
Dieses Szenario gilt nicht bloß in der Theorie. Es beruht auch auf einer für das Oderbruch bitteren Erfahrung. 1947 lief das gesamte Gebiet bei einem Winterhochwasser voll. Die Deichbruchstelle lag damals bei Neu-Manschnow nur wenige Kilometer flussabwärts von Reitwein. Dort konnte man sehen, wie das Wasser auf den Ort zufloss. Nicht wie ein Tsunami, keine Wasserwand. Es ähnelte eher einer Wattenmeerflut, die sich über die Äcker zog, bis sie alles bedeckte. Reitwein blieb trocken.
Im Sommer 1997 drohte sich die Katastrophe zu wiederholen. Unzählige Helferinnen und Helfer aus der Region und von überall her arbeiteten damals unermüdlich, um den Deich, der bei Reitwein eine Schwachstelle hatte, zu schützen. Der Deich hielt und das Oderbruch konnte aufatmen. Im Winter 2010 waren die Wasserstände erneut sehr hoch. Dafür ging die Oder 2015 mit einem extremen Niedrigwasser in den Winter. Auch das ist eine gefährliche Situation, weil dann die Eisbrecher, die die Oder vom unteren Flusslauf her aufbrechen müssten, zu wenig Wasser unter dem Kiel haben und sich beim natürlichen unkontrollierbaren Eisaufbruch Eisbarrieren bilden können. Deshalb gilt: Es lohnt sich immer, die Oder zu beobachten.
Meistens aber ist die Oder ein friedliches, wunderschönes Gewässer. Zu jeder Jahreszeit.