Es war ein typischer sonniger Sonntag, an dem uns die Grünen in Reitwein besuchten. Benjamin Raschke (Vorsitzender und tierschutzpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis90/Die Grünen im Brandenburger Landtag) kam mit dem Bus um 10 Uhr 18 und brachte zwei Grüne aus Märkisch-Oderland mit: Burkhard Paetzold (Fraktionsvorsitzender Bündnis90/DieGrünen im Kreistag) und Louisa Wietholt (Sprecherin des Kreisverbands Märkisch-Oderland).
Vom Kirchturm aus genossen wir den Blick ins schöne Oderbruch. Danach führte uns der Spaziergang an vielfältigen Beispielen unserer gesunden Dorfentwicklung vorbei: an Pensionen, von denen die jüngste gerade mit EU-Mitteln gefördert worden ist, und an den beiden Gaststätten. Benjamin Raschke fielen gleich die Tafeln auf, die wir im Rahmen der 700-Jahr-Feier aufgestellt haben mit Informationen zu den historischen Gebäuden – eine gelungene touristische Erschließung, fand er.
Unser Bürgermeister erzählte an der Baustelle der Wichern-Wohnstätten, wie sich die Diakonie schon jetzt in den Ort einbringt. Die Gebäude werden im Stil von Wohnhäusern errichtet, die Diakonie hat für die Kirchsanierung gespendet und plant, das mit Mitteln des Denkmalschutzes sanierte Fischerhaus zu beleben. Hier soll ein Café und eine Verkaufsstelle für die landwirtschaftlichen Produkte entstehen, die die Bewohner der Wohnstätte auf ihrem Grundstück selbst erzeugen wollen. Während die Putenmastanlage keinen neuen Arbeitsplatz schaffen würde, entstehen durch Wichern im Ort 18-20 Arbeitsplätze. 40 Prozent davon für ungelernte Menschen, die sich mit landwirtschaftlichen und handwerklichen Dingen auskennen, und für die qualifizierten Stellen haben sich schon Fachkräfte aus Reitwein beworben.
Detlef Schieberle, Reitweiner Bürgermeister, vor dem neuen Bauprojekt der Wichern-Diakonie in Reitwein im Gespräch mit Benjamin Raschke
Auch die Wildblumengärtnerin Nina Keller beschäftigt mit ihrem landwirtschaftlichen Betrieb zwei Festangestellte und dazu Saisonkräfte. Sie stellen regional zertifiziertes Saatgut für Straßenrand- und Blühstreifen her – und für alle, die sich eine Wildblumenwiese wünschen. Nina Keller liebt die Handarbeit im Freien, überlegt aber, Reitwein zu verlassen, wenn die Putenmast kommt: „Das ist viel Handarbeit, wir sind jeden Tag hier draußen. Die Anlage ist gleich da drüben. Ich kann mir vorstellen, dass wir dann mit unserem Betrieb weiterziehen.“ Die Pflanzen sind an den Standort gut angepasst. Die Samen für ihre Wildblumen sammelt Nina Keller in der Natur, meistens in Naturschutzgebieten, um sie zu vermehren. Im letzten Jahr war das Saatgut zum Teil ausverkauft.
Nina Keller, Unternehmerin aus Reitwein (DieWildblume.de), auf ihrem Acker im Gespräch mit Benjamin Raschke.
Auf dem Nachbarfeld zeigte Johannes Erz vom Bauernhof Erz in Rathstock seine Linsen.Noch ist der Anbau in Reitwein experimentell. Die Erzens testen, welche Sorten hier gut wachsen, wie weit die Abstände sein müssen und haben herausgefunden, dass Linsen sehr gut gemeinsam mit Hafer angepflanzt werden können. Die Nachfrage nach Hülsenfrüchten ist riesengroß, der Bauernhof bekommt schon jetzt ständig Anrufe, denn bisher werden Linsen fast ausschließlich aus dem Ausland importiert. Noch muss sein Betrieb die Ernte zur Verarbeitung nach Süddeutschland bringen: „Da ist die Landwirtschaftsstruktur kleinteiliger und dadurch auch dynamischer.“ Benjamin Raschke ist überrascht, als Johannes Erz erzählt, dass die Hokkaidokürbisse, die sein Bauernhof anbaut, auch im trockenen Oderbruch ganz ohne Beregnung auskommen. Sie sind Bio-zertifiziert und werden vom Oderbruch aus inzwischen in ganz Deutschland verkauft.
Johannis Erz, Bio-Landwirt aus Rathstock auf einem vom ihm bewirtschafteten Acker in Reitwein im Gespräch mit Benjamin Raschke.
Johannes Erz und Nina Keller arbeiten zusammen und haben eine Menge Pläne für die Zukunft. Sie hoffen, dass sich noch viele ihrem Beispiel anschließen werden. Landwirtschaft, die mit dem Dorf verbunden ist und von der das Dorf auch langfristig profitiert.
Benjamin Raschke stellte eine Menge Fragen, machte sich Notizen. Am ehemaligen LPG-Gelände angekommen fasste er seine Eindrücke so zusammen: „In Reitwein gibt es eine nachhaltige, gut vernetzte Dorfentwicklung. Ihr habt ein Konzept.“ Dass eine Massentierhaltungsanlage am Ortsrand, bei der der Wind Gestank und Keime direkt ins Dorf tragen würde, diese gute Entwicklung zunichte machen würde, liegt auch für ihn auf der Hand. „Das Problem ist, dass es für die Putenmast keine Haltungsvorschriften gibt. Das macht sie so profitabel.“
Nadine Schmid von der Bürgerinitiative Unser Reitwein vor den Ställen der ehemaligen LPG im Gespräch mit Benjamin Raschke
Zum Abschluss gab es die Gelegenheit, dem Landespolitiker Fragen zu stellen und Aufträge mitzugeben. In der Gaststätte Am Reitweiner Sporn hatten Reitweiner und der Gastwirt gemeinsam ein leckeres Buffet aufgebaut. Auf die Frage aus der BI, wie die Grünen planen, uns und das Oderbruch zu unterstützten, sah Benjamin Raschke Möglichkeiten auf Kreis-, Landes- und Bundesebene:
- Die Strafen müssen schärfer werden bei Misshandlungen von Tieren.
- Wir müssen Tierhaltungsobergrenzen festlegen.
- Nachdem eine Schweinehaltunganlage in Brandenburg über Jahre das Grundwasser verseucht hat, stellt sich die Frage nach dem Wasserschutz: Sind die DDR-Alt-Anlagen dicht? Und die in Reitwein?
- Brandschutz: In den letzten fünf Jahren sind bei Stallbränden in Brandenburg 40.000 Tiere verbrannt, erstickt, niedergetrampelt worden. Einige konnten nicht gerettet werden, weil sie den Stall noch nie verlassen hatten, und aus Angst nicht eins Freie kommen wollten. Die Region Hannover hat ein tolles Brandschutzkonzept. Nach dem Vorbild soll auch der Brandschutz in Tierhaltungsanlagen in Brandenburg verbessert werden. Es gibt oft nicht einmal Rauchmelder oder Löschwasser, die Türen gehen nicht nach außen auf usw.
Benjamin Raschke, Fraktionsvorsitzender und Sprecher für Recht und Tierschutz, nach der Führung durch Reitwein im Gespräch mit Anwohnern
Andreas Gahl war solidarisch aus Roddahn gekommen, wo das Dorf schon seit 20 Jahren gegen eine Putenmastanlage kämpft. Dort steht die Schule zwischen zwei Ställen, es stinkt also, egal woher der Wind weht. Große Haufen Mist liegen herum. Immer wieder sterben da Tiere, und nicht wenige, deren Kadaver in Tonnen gesammelt werden. Als die Kinder des Dorfes die vielen toten Puten gesehen haben, war der Schreck groß. Er warnt: „Ihr müsst verhindern, dass das gebaut wird, wenn es einmal steht, wird es schwierig.“
In einem waren sich alle Gäste einig. Reitwein ist schön und hier entstehen tolle Sachen: „Jeder konnte spüren, dass hier Entwicklung stattfindet, die es wert ist, geschützt zu werden. Keine Putenmastanlage darf diese Konzeption gefährden!“
Alle Fotos: © Jana Kotte